Akustische Ganganalyse

© Fraunhofer IDMT/Christoph Sören Gensmer
Protoytyp des Akustikschuhs, ausgestattet mit einem hochsensiblen MEMS-Mikrofon und Drucksensoren.

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation hat sich die Zahl der Parkinson-Erkrankungen weltweit verdoppelt. Als zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung beeinträchtigt Parkinson das Gangbild der Betroffenen. Auch andere Erkrankungen, wie Muskelerkrankungen, wirken sich negativ auf das Gangbild aus. Angesichts des demografischen Wandels stellt die medizinische Versorgung der alternden Bevölkerung viele europäische Länder, darunter auch Deutschland, vor Herausforderungen. Eine frühzeitige Diagnose ist entscheidend, wobei die Ganganalyse durch das Erkennen und Bewerten von Gangbildveränderungen eine wesentliche Rolle spielen kann.

Ein innovatives Konzept – der Akustikschuh
Am Fraunhofer IDMT wurde ein innovatives Projekt zur mobilen akustischen Ganganalyse gestartet, das auf dem neuartigen Konzept des Akustikschuhs basiert. Der Prototyp besteht aus einem flexiblen Stoffmaterial und einer rutschfesten Sohle, die Stabilität, Komfort und uneingeschränktes Tragen über einen längeren Zeitraum ermöglichen. Ein hochsensibles MEMS-Mikrofon erfasst die akustischen Signale des Gehens, während strategisch platzierte Drucksensoren den Bodenkontakt aufzeichnen. Diese Drucksensoren dienen dazu, die Stand- und Schwungphasen des Gangs genau zu erfassen und zu differenzieren. Sie erstellen Annotationen für die akustischen Datensätze, die entscheidend sind, um die relevanten Audiosegmente der einzelnen Gangphasen zu extrahieren. Ziel ist es, mithilfe dieser Daten die akustischen Signale während der Entwicklung besser zu analysieren und zu klassifizieren.

Die gesammelten Daten werden anschließend von einem Einplatinencomputer verarbeitet, der als zentrale Recheneinheit dient. Dieses System ermöglicht somit die parallele Erfassung sowie Synchronisation von Audio- und Drucksensordaten. In Untersuchungen wurde geprüft, ob das Zuschneiden der Audiodaten anhand der von den Drucksensoren erfassten Bodenkontaktzeiten die Klassifikationsgenauigkeit verbessert. Es zeigte sich jedoch, dass das Entfernen von Störgeräuschen durch das Zuschneiden der Daten auf die Standphasen zu keiner signifikanten Verbesserung der Klassifikationsergebnisse führte. Langfristig wird angestrebt, die trainierte Algorithmik auf einer kompakten und energieeffizienten Edge-Plattform zu implementieren. Diese soll in einer mobilen Anwendung oder mittels drahtloser Datenübertagung z. B. im stationären Umfeld funktionieren. Ziel ist es, die Drucksensoren zu ersetzen und ausschließlich die akustischen Daten eines oder mehrerer Schallempfänger zur Erkennung und Beurteilung der Gangmuster zu nutzen.

Machbarkeitsstudie: Analyse von Gangarten
In einer Machbarkeitsstudie mit 39 Testpersonen wurde der Akustikschuh zur Analyse von drei exemplarischen Gangarten eingesetzt: dem normalen Gang sowie zwei krankhaften Gangarten – dem myopathischen und dem Parkinson'schen Gang. Die Probanden simulierten die verschiedenen Gangarten unter Anleitung. Trotz begrenzter Stichprobengröße liefert die Studie eine wertvolle Datenbasis zur ersten Beurteilung der akustischen Merkmale und erlaubt es, Trends und Muster zu identifizieren, die für weiterführende Studien relevant sind.

Für die Datenanalyse wurden neben gängigen Verfahren der Audiosignalverarbeitung auch fortschrittliche Algorithmen wie k-Nearest Neighbors (k-NN) und K-Means-Clustering eingesetzt. Mithilfe dieser Methoden konnten charakteristische Merkmale der Gangarten identifiziert und klassifiziert werden. Die Analyse ergab bereits eine Klassifikationsgenauigkeit von bis zu 71 Prozent, was deutlich über dem Zufallsniveau von 33,3 Prozent liegt. Besonders hervorzuheben ist, dass der Akustikschuh nicht nur normale Gangarten, sondern auch die simulierten krankhaften Gangarten mit hoher Genauigkeit erkennen konnte.

Perspektiven für Forschung und Anwendung
Mit dem Akustikschuh wurde ein wesentlicher Fortschritt in der Entwicklung tragbarer Technologien zur Ganganalyse erzielt. Die erfolgreiche Machbarkeitsstudie eröffnet spannende Perspektiven für die weitere Forschung und Entwicklung, insbesondere in der medizinischen Diagnostik, wo der Schuh als wertvolles Instrument zur Überwachung und Analyse von Gangstörungen dienen kann. Darüber hinaus bietet diese Technologie auch Potenzial für Anwendungen in der Rehabilitation, der Selbstüberwachung sowie als Teil von »Smart Shoes« für Sportler und gesundheitsbewusste Endanwender.

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