Ein Interview mit Hörforscherin Lena Schell-Majoor
Lena Schell-Majoor arbeitet in der Projektgruppe Hör-, Sprach- und Audiotechnologie des Fraunhofer IDMT im Bereich Audioqualität und auditorische Modellierung. Sie promoviert an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg im Department für medizinische Physik und Akustik zur Qualitätsbewertung von Geräuschen. 2015 erhielt Schell-Majoor die »For Women in Science«-Förderung der Deutschen UNESCO-Kommission, L´Oréal Deutschland und der Christiane Nüsslein-Volhard-Stiftung
Lena, Du forscht an der Qualitätsbewertung von Geräuschen. Worum geht es dabei?
Es geht darum, herauszufinden, welche akustischen Merkmale eines Geräuschs die empfundene Klangqualität ausmachen. Warum klingt z. B. das Schließen der Autotür bei einem Hersteller hochwertiger als bei einem anderen? Wann vermittelt ein technisches Geräusch den Eindruck, dass das Produkt verlässlich funktioniert und wann wird es lästig? Kann ein Staubsauger leistungsstark klingen, obwohl er leise ist? Das sind alles Fragen, auf die die Psychoakustik Antworten sucht. Grundsätzlich geht es in der Psychoakustik darum, den Zusammenhang zwischen physikalischen Messgrößen und subjektiven Empfindungen herzuleiten. Das Ziel meiner Arbeit ist es, die empfundene Klangqualität von technischen Geräuschen verlässlich vorhersagen zu können.
Wie gehst du bei deiner Arbeit vor?
Im ersten Schritt habe ich eine Studie mit insgesamt dreißig Probanden durchgeführt, um einen Datensatz mit subjektiven Hörempfindungen und Bewertungen zu gewinnen. Dazu habe ich den Probanden verschiedene Geräusche, wie z. B. von Rasierapparaten oder Staubsaugern, vorgespielt. Die Probanden mussten bewerten, wie ausgeprägt ihrem Empfinden nach die Eigenschaften Rauigkeit, Schärfe, Tonhaltigkeit, Lautheit und Lästigkeit sind. Im zweiten Schritt werde ich nun diese subjektiven Bewertungen mit einem auditorischen Modell vergleichen.
Was ist ein »auditorisches Modell«?
Mit »auditorisches Modell« meine ich ein Computermodell, also einen Algorithmus, der die Funktionsweise des Gehörs simuliert. Das Modell, das ich benutze, transformiert das Originalsignal so, dass nur noch die Anteile enthalten sind, die für die menschliche Wahrnehmung eine Rolle spielen. Es wird deshalb PEMO, kurz für Perzeptionsmodell, genannt und wurde in der Oldenburger Hörforschung entwickelt. Das Modell berücksichtigt z.B. mit welcher Genauigkeit zeitliche oder spektrale Signaleigenschaften wahrgenommen werden können.
Kann man in dem Computermodell Geräuscheigenschaften wie Rauigkeit oder Schärfe wiederfinden?
Das versuche ich herauszufinden. Ich untersuche, ob sich diese Geräuschmerkmale in der Modelldarstellung des Signals abbilden. Und vor allem, ob sie sich so abbilden, wie die Probanden die einzelnen Merkmale bewertet haben. Es gibt natürlich Unterschiede in den Bewertungen der Probanden, aber im Mittel lassen sich durchaus Aussagen treffen. Ziel ist es, mit dem Modell vorherzusagen, wie die Merkmale eines Geräusches bewertet werden.
Gibt es diesen Ansatz bisher noch nicht?
Es gibt verschiedene Ansätze, aber mir ist bisher kein Ansatz bekannt, der auf einem so umfassenden auditorischen Modell basiert. Vor allem wurden bisher bekannte Verfahren zur Klangbewertung fast immer für eine ganz bestimmte Anwendung entwickelt. Ziel meiner Forschungsarbeit ist es, die subjektive Hörwahrnehmung für ein breites Spektrum an Geräuschen zuverlässig vorhersagen zu können.
Wo können Verfahren zur automatischen Klangbewertung eingesetzt werden?
Das Geräusch eines Produktes, z.B. eines Autos oder eines Staubsaugers, spielt bei der Kaufentscheidung eine immer größere Rolle. Die Hersteller versuchen deshalb zunehmend, das Geräusch möglichst angenehm und passend zum Produkt zu gestalten. Dabei ist es oftmals technisch nicht möglich oder sogar unerwünscht, dass Produkte gar keine Geräusche verursachen. Das Anwendungsgeräusch eines Föhns, Rasierapparates oder Staubsaugers gibt dem Benutzer ja wichtige Rückmeldung über die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Geräts. Um zu wissen, wie den Anwendern Produktgeräusche gefallen, müssen bisher Hörstudien mit möglichst vielen Probanden durchgeführt werden. Das ist sehr zeit- und kostenintensiv. Hier kann ein Computermodell deutlich Zeit und Kosten sparen.