Studie zum Klimawandel im deutschen Fernsehprogramm: Fraunhofer IDMT analysiert 20 TV-Sender

Am 24. Oktober 2023 präsentierte die deutsche Schauspielerin und Mitbegründerin der MaLisa-Stiftung, Maria Furtwängler, in München die Ergebnisse der Studie »Klimawandel und Biodiversität: Was zeigt das Fernsehen – Was wollen die Zuschauer*innen?«. Die Studie wurde gemeinsam von der MaLisa-Stiftung und den vier großen Fernsehsendern ARD, ZDF, ProSiebenSat.1 und RTL Deutschland initiiert. Untersucht wurde, ob es eine Diskrepanz zwischen der Darstellung der Themen Klimakrise & Biodiversität im deutschen Fernsehprogramm und der Wahrnehmung dieser Themen durch die Zuschauerinnen und Zuschauer gibt. Das Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie IDMT war in dem einjährigen Projekt als Forschungspartner für die Audio- und Videoanalyse des Fernsehprogramms zuständig.

Screenshot der Audiovisual Identity Suite zeigt mit Heat Map, wie oft eine bestimmte Persönlichkeit im Erhebungszeitraum bei welchem Fernsehsender präsent war.
© Fraunhofer IDMT
Mit einer Heat Map wurde abgebildet, wie oft eine bestimmte Persönlichkeit im Erhebungszeitraum bei welchem Fernsehsender präsent war.

Gemeinsam mit zwei Sozialwissenschaftlerinnen der Freien Universität (FU) Berlin und der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München führte das Fraunhofer IDMT die TV-Studie durch. Für die Auswertung wurden verschiedene Erhebungsmethoden kombiniert. Das Fraunhofer IDMT untersuchte das Programm von 20 deutschen TV-Sendern über einen Zeitraum von zwei Monaten mittels automatisierter Inhaltsanalyse. Die Professorinnen Irene Neverla (FU Berlin) und Imke Hoppe (LMU München) führten qualitative Gruppendiskussionen und Panelbefragungen mit rund 2.600 Personen durch.

Die Forschungsfragen

Die Studie sollte unter anderem herausfinden

  1. welche Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, Recht und Kultur im TV-Klimadiskurs sichtbar sind
  2. wie hoch der Anteil von Männern und Frauen im Klimadiskurs (im Vergleich zum Nicht-Klimadiskurs) ist und
  3. in welchen thematischen Zusammenhängen Klimawandel und Biodiversität im Fernsehen diskutiert werden.

Für die Programmanalyse wurden die Sendungen im Zeitraum vom 1. September bis 31. Oktober 2022 täglich von 05:30 bis 0:30 Uhr untersucht. Dazu hat das Fraunhofer IDMT die Sendungen EPG-gesteuert aufgezeichnet und anschließend automatisiert analysiert. Dabei wurden Personen anhand von Gesicht und Stimme einem wahrgenommenen Geschlecht zugeordnet und die Aufzeichnungen einer Sprachtranskription unterzogen, um den inhaltlichen Kontext der Fernsehprogramme auszuwerten.

EPG steht für Electronic Program Guide und bezeichnet elektronisch verbreitete Informationen wie Titel, Uhrzeit und Dauer von Radio- und Fernsehprogrammen.

Identifikation sichtbarer Persönlichkeiten im Klimadiskurs

Um zu analysieren, welche Persönlichkeiten im TV-Diskurs sichtbar sind, wurden zunächst 146 Personen aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, Recht und Kultur als Referenzpersonen definiert. Das gesamte aufgezeichnete Videomaterial wurde anschließend mit Hilfe der intelligenten Gesichtserkennung durchsucht. Die gefundenen Gesichter wurden in einem weiteren Analyseschritt nach dem visuell wahrgenommenen Geschlecht klassifiziert und ein Gesichtsabgleich mit den 146 Referenzpersonen durchgeführt. Die Ergebnisse dieser Analyse werden demnächst in einem wissenschaftlichen Paper vorgestellt. 

Für eine noch zuverlässigere Geschlechtsbestimmung wurden die Daten zusätzlich einer auditiven Sprechererkennung unterzogen. Dieser kombinierte Ansatz erhöht nicht nur die Genauigkeit der Geschlechtserkennung, sondern kann auch Sonderfälle lösen, in denen eine Person nicht sichtbar ist, aber spricht.

Insgesamt wurden 37.476 Sendungen analysiert und 4.655.706 verschiedene Gesichter von 806.390 unterschiedlichen Personen erkannt. Der Abgleich der Gesichtsdaten mit den 146 vorgegebenen Referenzpersonen funktionierte sehr zuverlässig.

27,9 Prozent aller Gesichter wurden als visuell weiblich und 72,1 Prozent als visuell männlich klassifiziert. Durch den zusätzlichen Abgleich mit den Ergebnissen der auditiven Sprechererkennung konnte die prozentuale Verteilung auf 35 Prozent weibliche und 65 Prozent männliche Personen korrigiert werden.

Das bedeutet, dass eine cross-modale Analyse von Audio- und Videodaten eine höhere Aussagekraft und wesentlich genauere Ergebnisse bei der Identifikation von Personen in Fernsehsendungen ermöglicht.

Inhaltsanalyse der Fernsehsendungen

Um die inhaltlichen Aussagen der aufgezeichneten Fernsehsendungen zu den Themen Klima und Biodiversität zu analysieren, wurden die Sprachbeiträge mit Hilfe eines trainierten Spracherkennungssystems analysiert und in auswertbaren Text umgewandelt. Der verwendete Spracherkenner wurde mit über 17.000 Stunden Sprachmaterial und speziell für diese Studie mit über 40 Begriffen zu den Themen Klimawandel und Biodiversität trainiert. Darunter befanden sich Begriffe wie Klimawandel, Globale Erwärmung, Treibhauseffekt, CO2-Emissionen, Klimagipfel, Biodiversität, Artenvielfalt oder Aussterben. In einer ersten Stichprobe von 370 zufällig ausgewählten Sendeminuten wurde die zuverlässige und robuste Erkennung der Schlüsselwörter in den transkribierten Texten getestet. Diese lag bei nahezu 100 Prozent.

Im Ergebnis lag der relative Themenanteil zum Klimawandel trotz der zuverlässigen Analyseverfahren dennoch nur bei 1,8 Prozent aller ausgewerteten Sendeminuten, der Anteil zum Thema Biodiversität sogar nur bei 0,2 Prozent. 

Evaluation der Ergebnisse

Um sicherzustellen, dass die automatische Analyse der Sendungen auch zuverlässig funktioniert hat, überprüfte das Fraunhofer IDMT die entwickelten Algorithmen hinsichtlich der Fehlermaße. Dafür wurden zum Vergleich manuell annotierte Daten verwendet und wenn nötig, die Algorithmen verbessert.

Schnelle Analyse großer Programmdatenmengen

Für die Aufzeichnung der Programmdaten nutzte das Forschungsinstitut fünf Satellitentransponder, die auf vier PC-Workstations verteilt waren. Insgesamt hat das Fraunhofer IDMT rund 1,4 Millionen Sendeminuten aufgezeichnet, transkribiert, analysiert und in einem Dashboard für weitere Auswertungsschritte zur Verfügung gestellt – das entspricht etwa 2,7 Jahren Sendematerial und 63 Terabyte Programmdaten.

Projektleiter Dr.-Ing. Christian Weigel vom Fraunhofer IDMT ist mit der Zuverlässigkeit der eingesetzten cross-modalen Analyseverfahren sehr zufrieden: »Unsere Analysetools arbeiten robust und schnell. So konnten wir im Rahmen der MaLisa-Studie sehr große Datenmengen in kurzer Zeit analysieren lassen und damit wertvolle Informationen für die MaLisa-Studie liefern«.

Alle Ergebnisse der aktuellen MaLisa-Studie finden Sie unter: https://malisastiftung.org/klimawandel-und-biodiversitaet-im-tv/

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